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Stoffsuche Formaldehyd NIS-Nr.: 12     Rechner zur Umrechnung der Konzentrationsmaße

TERM CHEM EXPO WIRK TOX WERT VORSCHR EMPF INDEX
Allgemein Akut Chronisch Quellen
 
Stand: 09/2021
Bearbeiter: Nordrhein-Westfalen auf der Grundlage eines Entwurfs von Jens-Uwe Voss, Toxikologische Beratung, Müllheim
Status: ohne Review

Wirkungen beim Menschen

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Allgemeine Angaben


Allgemeine Wirkungscharakteristik
Als stark reaktive und zugleich rasch verstoffwechselte Substanz verursacht Formaldehyd Wirkungen hauptsächlich lokal (port-of-entry); diese reichen konzentrationsabhängig von Reizung bis Zytotoxizität (epitheliale Atrophie, Nekrose, Hyper- und Metaplasie, Nekrose). Formaldehyd ist schwach genotoxisch. Hauptsymptome bei Exponierten sind Reizung von Augen, Nase und Rachen, Unwohlsein, Tränenfluss, Niesen, Husten und Atemnot [C - 134 / OECD SIDS / 2002, S. 13; C - 154 / WHO Air quality guidelines / 2000, S. 87-88]. Die sensorische Reizwirkung kann sich bereits in Konzentrationsbereichen bemerkbar machen, bei denen die Schwelle für zytotoxische und zellproliferative Wirkungen noch nicht erreicht ist [C - 145 / AGS / S. 5].
Ein nasopharyngeales Krebsrisiko besteht vermutlich erst bei zytotoxischen Konzentrationen.

Aufnahmewege
Aufnahmewege siehe NIS-EXPO

Toxikokinetik
Inhalierter Formaldehyd wird zum größten Teil im Bereich der oberen Atemwege retiniert und resorbiert, beim Menschen wahrscheinlich hauptsächlich an der Nasen- und Mundschleimhaut, aber auch an Luftröhre und Bronchien [C - 149 / CICADS / 2002, S. 19].
Aufgrund der hohen Reaktivität setzt sich Formaldehyd dabei schnell mit biologischen Makromolekülen (Schleimbestandteilen, Zellbestandteilen im Nasenepithel) um, und es wird nur ein geringer Anteil an freiem Formaldehyd bioverfügbar [C - 4 / DFG / 2000, S. 3, 11].

In Versuchen an Testpersonen, die über 40 Minuten Formaldehyd in einer Konzentration von 1,9 ppm (2,37 mg/m³) inhalierten, war kein expositionsbedingter Anstieg der Formaldehyd-Spiegel im Blut zu verzeichnen. Bei Affen (Mund-Nasen-Atmer wie der Mensch) fand sich auch bei 4-wöchiger Exposition gegenüber 6 ppm (7,5 mg/m³) über 6 h/d, 5 d/w, kein signifikanter Anstieg des Formaldehyd-Gehaltes im Blut [C - 4 / DFG / 2000, S. 11].

Um zwischen endogen im Blut vorhandenem und exogen durch Inhalation aufgenommenem Formaldehyd unterschieden zu können, wurden Ratten 6 Stunden gegenüber einer (hohen) Formaldehydkonzentration von 10 ppm (12,5 mg/m³) exponiert, in dem der Formaldehyd zuvor mit dem stabilen Kohlenstoffisotop 13 markiert worden war. Es konnte während der Exposition und im Anschluss daran ausschließlich endogener (also nicht markierter) Formaldehyd im Blut nachgewiesen werden, jedoch kein 13C-markierter Formaldehyd [C - 177 / SCOEL / 2016 / S. 49].

Eine Inaktivierung von Formaldehyd erfolgt bei geringen Konzentrationen zu wesentlichen Anteilen bereits durch Reaktion mit Bestandteilen der das Nasenepithel bedeckenden Schleimschicht und oberflächennaher Zellen. Bei höherer Exposition erreicht Formaldehyd unter Ausbildung eines Konzentrationsgradienten auch tiefere Zellschichten des Nasenepithels. Dies wird dadurch gefördert, dass ab bestimmten Konzentrationen durch Hemmung der mukoziliären Clearance (in einem Kurzzeitversuch an der Ratte oberhalb 2 ppm (2,5 mg/m³) nachweisbar) die Barrierefunktion der Schleimschicht beeinträchtigt wird [C - 4 / DFG / 2000, S. 3].

Zur Hautresorption ist aus kinetischen Versuchen bekannt, dass Formaldehyd die Haut nur in geringem Maße penetrieren kann [C - 4 / DFG / 1991, S. 5]. Im Versuch an Affen wurden von einer dermal applizierten 14C-markierten Formaldehyd-Dosis weniger als 1% ausgeschieden bzw. fanden sich in den Organen wieder [A - 1 / HSDB / 2015].

Bei oraler Aufnahme wird von einer raschen Verstoffwechselung am Einwirkungsort ausgegangen [C - 4 / DFG / 1991, S. 5].
Zur Bioverfügbarkeit des mit der Nahrung aufgenommenen Formaldehyds gibt es keine Angaben [C - 149 / CICADS / 2002, S. 15].

Reaktionsmöglichkeiten, die für Formaldehyd direkt am Einwirkungsort oder nach Übertritt ins Blut bestehen, sind vielfältig. Ein wahrscheinlich großer Anteil geht in der Zelle direkte Reaktionen mit Peptiden und Proteinen oder RNA- und DNA-Nukleotiden ein. Eine schnelle Verstoffwechselung erfolgt durch Glutathion-abhängige Oxidation mittels Formaldehyd-Dehydrogenase. Aus dem hierbei gebildeten S-Formylglutathion kann Formiat freigesetzt werden, oder es kann über eine Umsetzung mit Tetrahydrofolat eine Einschleusung in den C1-Stoffwechsel der Zelle erfolgen. S-Formylglutathion stellt wahrscheinlich auch die Transportform dar, in der exogen zugeführtes Formaldehyd vom Einwirkungsort zu anderen Organen gelangen und dort in den C1-Stoffwechsel (einschließlich der Biosynthese von Proteinen und Nukleinsäuren) einbezogen werden kann.
Formaldehyd selbst ist zu kurzlebig (Halbwertszeit im Blut nach i.v.-Applikation an Versuchstiere 1 - 1,5 Minuten), um in unveränderter Form in signifikanten Mengen systemisch verfügbar zu werden.
Stoffwechselendprodukte sind schließlich CO2 sowie das mit dem Urin eliminierte Formiat.
[C - 149 / CICADS / 2002, S. 19-20; C - 4 / DFG / 2000, S. 3, 11-13]

Human-Biomonitoring
Human Biomonitoring siehe NIS-EXPO

Wirkungsmechanismus
- Die lokale Reizwirkung mit akuten und chronischen Schädigungen an direkt kontaktierten Geweben und die genotoxischen Eigenschaften werden auf die hohe Reaktivität des Moleküls zurückgeführt [C - 4 / DFG / 2000, S. 1].

Die sensorische Reizung am Auge und in den Nasenhöhlen durch Formaldehyd wird auch beim Menschen durch die Aktivierung des trigeminalen TRPA1-Rezeptor ausgelöst. Es besteht kein mechanistischer Zusammenhang mit den proteinreaktiven, zytotoxischen oder gentoxischen Effekten
[C - 145 / AGS / 2015 / S. 5].

- Bei akuten Intoxikationen kann sich durch schnelle Umsetzung von Formaldehyd zu Formiat eine metabolische Azidose ausbilden [D - 296 / Pandey / 2000].
- Die Auslösung der allergischen Reaktionen vom Typ IV wird wahrscheinlich durch Reaktion von Formaldehyd mit Proteinen der epidermalen Langerhans-Zellen vermittelt [C - 70 / ACGIH / 2001, S. 14].

- Die im Tierversuch beobachtete Tumorbildung in der Nase wird primär mit der zytotoxischen Wirkung des Formaldehyds und der hierdurch verursachten Steigerung der Zellproliferation, die mit einer erhöhten Zahl an DNA-Protein-Crosslinks korreliert, in Zusammenhang gebracht. Dieser Mechanismus wird auch für den Menschen als wahrscheinlich angesehen [C - 4 / DFG / 2000, S. 3, 32]. Die beobachtete Sequenz von nasalen Läsionen ist wie folgt: Rhinitis, epitheliale Dysplasie, Plattenepithelmetaplasie und Hyperplasie, Plattenepithelkarzinom [C - 116 / NTP / 2010].
Die Dosis-Wirkungs-Kurven für DNA-Protein-Crosslinks, Zellproliferation und Tumorbildung weisen ähnliche Muster auf, mit einem steilen Anstieg der Steigung bei Konzentrationen im Bereich oberhalb von 2 ppm (2,5 mg/m³): Zwischen 2 und 6 ppm (7,5 mg/m³) beginnt ein überproportionaler Anstieg von DNA-Addukten bzw. DNA-Protein-Quervernetzungen, ab 6 ppm lassen sich auch gesteigerte Zellproliferationsraten nachweisen [C - 145 / AGS / S. 3].

Formaldehyd kommt auch endogen vor und bildet dadurch in allen Geweben einen Hintergrund an DNA-Addukten und DNA-Protein "cross-links". Signifikante Erhöhungen dieser Adduktraten durch exogene Aufnahme treten erst im zytotoxischen Dosisbereich auf. Zytotoxizität und Zellproliferation sind wesentliche Schlüsselelemente zur Induktion der nasalen Tumoren. Insgesamt zeigen alle Endpunkte eine deutliche Nicht-Linearität und lassen eine Konzentration ohne messbare adverse Wirkung erkennen. Mittels dieser Datenlage kann nach einem "weight of evidence"-Vorgehen eine Schwelle angenommen werden. Ein Wert für diese Schwelle wird vom AGS nicht explizit ausgewiesen, der abgeleitete Arbeitsplatzgrenzwert von 0,37 mg/m³ (0,3 ppm) jedoch unterhalb dieser Schwelle gesehen. Ein auf Basis von DNA-Addukten bei dieser Konzentration abgeschätztes Krebsrisiko wäre ausschließlich auf endogenen Formaldehyd zurückzuführen [C - 145 / AGS / S. 1, S. 28f.].

- Ein Mechanismus, der epidemiologische Hinweise auf Leukämie-Induktion erklären könnte [D - 989 / Zhang / 2009], wurde als nicht plausibel bewertet [C - 318 / NRC / 2011; C - 299 / ECHA / 2011, S. 169].

Risikogruppen
Die folgenden Personengruppen werden als Risikogruppen genannt:
- Asthmatiker
- Personen mit signifikanten Lungenfunktionsstörungen aufgrund chronischer Lungenerkrankungen
- Personen mit chronischen Hauterkrankungen oder akuter Dermatitis [C - 24 / NIOSH / 1988, S. 2]
- Personen mit bestehender Sensibilisierung gegenüber Formaldehyd [C - 140 / NEGCD / 2003, S. 48]

Eine vom Ausschuss für Innenraumwerte (AIR) durchgeführte Auswertung epidemiologischer Daten über Zusammenhänge zwischen Formaldehydexposition und Verschlimmerung von Asthma kam allerdings zu dem Schluss, dass auf der Basis der vorliegenden epidemiologischen Studien kein klarer Zusammenhang zwischen Formaldehyd in Innenräumen und der Entwicklung oder Verschlimmerung von Asthma bei Kindern hergestellt werden kann [D - 1199 / AIR / 2016]. Auch die WHO kam zu dem Schluss, dass keiner Gruppe (wie etwa Älteren, Asthmakranken oder Kindern) eine besonders hohe Empfindlichkeit gegenüber Formaldehyd zugeschrieben werden könne. Nach Einschätzung des Komitees für Risikobewertung (RAC) der ECHA hingegen liegen jedoch nicht genügend verlässliche Untersuchungen vor, um diese Frage einer erhöhten Empfindlichkeit beantworten zu können [C - 300 / ECHA / 2020 / S. 21, S. 29].

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Wirkungen bei einmaliger / akuter Exposition


Wirkungen nach Haut- und Augenkontakt
Augenkontakt
Gasförmiger Formaldehyd wirkt augenreizend.
Angaben zur Reizschwelle nach Auswertung der Ergebnisse von Kurzzeit-Probandenstudien durch ein Expertengremium:
0,5 - 1 ppm (0,62 - 1,25 mg/m³) über 6h: Augenreizungen bei ca. 5 - 25% der exponierten Personen
0,3 ppm (0,37 mg/m³): Augenreizungen noch bei einzelnen Personen
Signifikant vermehrt wird über Augenreizungen erst bei Konzentrationen von mindestens 1 ppm (1,25 mg/m³) berichtet. [C - 4 / DFG / 2000, S. 1, 14-19]
Einzelne Studien zeigten eine relativ breite Variation der individuellen Empfindlichkeit gegenüber der Reizwirkung des Formaldehyds [C - 242 / WHO / 2010 / S. 139; C - 140 / NEGCD / 2003, S. 10].
Eine Benchmark-Analyse einer Anzahl von Probanden-Studien bezeichnet 1 ppm als Konzentration ohne signifikantes Risiko, allerdings lässt dieser Ansatz die Effekte bei 10% der Exponierten unberücksichtigt [C - 145 / AGS / 2015 / S. 5].

Zu Reizeffekten bei höheren Raumluftkonzentrationen siehe "Wirkung nach inhalativer Aufnahme".

Formaldehyd-Lösungen verursachen in Abhängigkeit von Konzentration und Einwirkungszeit Reizungen bis schwere Augenschädigungen.
Angaben aus Fallberichten:
- Spritzer 0,2%iger Lösung, kurze Einwirkung: schmerzhafte Reizung, keine bleibende Schädigung
- Spritzer 4%iger Lösung, nach 15 sec Augenspülung: starke Schmerzempfindung und Sehstörungen, innerhalb einiger Tage reversibel
- Spritzer 26%iger Lösung (keine Angaben zur Einwirkungszeit): schwere Entzündung, Verdickung der Hornhaut, Iritis; reversibel innerhalb 2 Monaten
- Spritzer 40%iger Lösung, sofortige Spülung: persistierende Trübung und Vaskularisierung der Hornhaut
[C - 82 / Grant / 1993, S. 708]

Hautkontakt
Formaldehyd-Lösungen wirken an der Haut reizend bis ätzend.
1%ige wässrige Formaldehyd-Lösung löst bei okklusiver Applikation bei ca. 5% der Bevölkerung Reizreaktionen aus [C - 150 / EHC / 1989, S. 147].
2 - 10%ige wässrige Lösungen können Blasen- und Rhagaden Bildung bewirken und Urtikaria auslösen [C - 77 / CSDS / 1990, S. 111].
Nach längerem, intensivem Kontakt mit 4 - 10%igen Lösungen wurden beobachtet: schmerzhafte Hautentzündungen, Schwellung, Bläschenbildung und Verhärtung der Haut, bräunliche Verfärbung der Nägel, Entzündungen am Nagelfalz und Schädigung der Nagelsubstanz [C - 86 / Lewin / 1992, S. 377].

Bei sensibilisierten Personen können allergische Reaktionen schon durch 0,05%iges Formaldehyd ausgelöst werden [C - 138 / Kayser / 2001].

Zu allergischen Hautreaktionen siehe "Immunotoxische Wirkungen".

Berichte über systemisch-toxische Wirkungen nach Hautkontakt finden sich trotz der umfänglichen Anwendung kaum. In einem Einzelfall wurden nach akuter großflächiger dermaler Einwirkung eines Phenol-Formaldehydharzes mit 0,5% freiem Formaldehyd Hautnekrosen, Atembeschwerden und Effekte am Herz-Kreislauf-System und an den Nieren beobachtet. Die Expositionsbedingungen wurden nicht näher charakterisiert [C - 70 / ACGIH / 2001, S. 7].

Wirkungen nach Inhalation
Geruchsschwelle: 0,06 - 0,22 mg/m³ (0,05 - 0,18 ppm), bei ca. 1,2 mg/m³ (1 ppm): Geruch für die meisten Personen wahrnehmbar und/oder erkennbar [C - 140 / NEGCD / 2003, S. 8].

Effekte bei höheren Konzentrationen:
4 - 5 ppm (5 - 6,2 mg/m³): Tränenreiz, deutliche Reizung von Nase und Rachen
10 - 20 ppm (12,5 - 24,9 mg/m³): Augenbrennen, sehr starker Tränenfluss, Brennen in Nase/Rachen, starke Atembeschwerden, starker Husten
50 - 100 ppm (62,3 - 124,6 mg/m³): Engegefühl in der Brust, Kopfschmerz, Herzklopfen, Augenschädigung, Gefahr von Glottisödem/-spasmen, Lungenschädigung [C - 77 / CSDS / 1990, S. 111; C - 85 / Ludwig / 1994, S. 232].

Konzentrationen bis zu 3 ppm (3,7 mg/m³) verursachen bei Personen mit gering ausgeprägter Asthmaerkrankung meist keine signifikanten Bronchokonstriktionen [C - 70 / ACGIH / 2001, S. 14].

In einer Doppelblind-Studie mit 4-stündiger Kammerexposition zeigten sich bei 0,5 ppm (0,63 mg/m³) keine Effekte, sofern nicht zusätzliche Expositionsspitzen mit 1 ppm eingeschoben wurden. Diese Studie wurde von der WHO für die Begrenzung von Innenraumkonzentrationen herangezogen; für diese wurden 0,1 mg/m³ (80 ppb) angesetzt.
Eine nachfolgende Studie mit 5 Expositionen über 4 Stunden gegenüber 0, 0,5 und 0,7 ppm sowie 0,3 ppm mit zusätzlichen Spitzenbelastungen von 0,6 ppm (4 x 15 min) und 0,4 ppm mit 0,8 ppm-Spitzen konnte die NOAEC auf 0,7 ppm eingrenzen (0,8 ppm bei Spitzenintervallen). Die NOAEC dieser Studie für subjektive und objektivierbare Reizwirkung unterschieden sich nicht [C - 145 / AGS / 2015 / S. 6].

Der AIR (Ausschuss für Innenraumrichtwerte) geht bei der Ableitung des Richtwerts I für die Innenraumluft vom NOAEC von 0,63 mg/m³ für den Endpunkt sensorische Reizung aus und leitet mit einem Faktor von 5 für die interindividuelle Variabilität einen Richtwert I von 0,1 mg Formaldehyd/m³ (für kurz- und langfristige Exposition) ab, der auch vor einem Krebsrisiko durch eingeatmeten Formaldehyd schützt (siehe dazu NIS-TOX: „Krebserzeugende Wirkungen“) [D - 1200 / AIR / 2016].

In einer neueren Bewertung sieht das Komitee für Risikobewertung (RAC) der ECHA hingegen die Daten dieser beiden kontrollierten Studien nicht als verlässlich genug an, um auf dieser Basis eine tolerable Konzentration für Formaldehyd in Luft abzuleiten, da nach Auffassung des RAC die Abwesenheit sensorischer Reizeffekte unterhalb von 1 ppm (1,24 mg/m³) nicht sicher ist und angesichts der hohen Variabilität der gemessenen Effekte, der niedrigen Zahl an Probanden und weiteren Unsicherheiten (wie etwa dem Poolen der Daten beider Geschlechter) falsch-negative Effekte unterhalb 0,5 ppm (0,62 mg/m³) nicht auszuschließen seien [C - 300 / ECHA / 2020 / S. 24, S. 28].
RAC sieht die Daten über sensorische Reizungen beim Menschen aufgrund der Schwächen der verfügbaren Studien daher nicht als ausreichend zuverlässig an, um auf dieser Datenbasis DNEL (Derived no effect level) für die inhalative Formaldehydexposition abzuleiten [C - 300 / ECHA / 2020 / S. 28].

Wirkungen nach oraler Aufnahme
Vergiftungen mit Formalin (37%ige Formaldehyd-Lösung): LD ab ca. 10 - 50 ml
[C - 14 / Ludewig / 1999, S. 81; C - 19 / Wirth / 1994, S. 191]

Gering konzentrierte Formaldehyd-Lösungen sollen die Schleimhäute reizen, blutiges Erbrechen, Nierenfunktionsstörungen und ZNS-Störungen (Benommenheit, Rausch) auslösen [C - 19 / Wirth / 1994, S. 191].

Durch Formaldehyd ausgelöste Schleimhautschädigungen sollen einer Säurewirkung ähnlich sein und wie diese weniger den Ösophagus, sondern den Magen und obere Darmabschnitte betreffen [C - 70 / ACGIH / 2001, S. 7]. Andere Autoren beschreiben, dass die Läsionen teils auch einer Laugenverätzung ähneln und im Gastrointestinaltrakt zuerst Ulzeration und Perforation bewirken [D - 296 / Pandey / 2000].

Erste Symptome sind starkes Brennen in Mund und Ösophagus, Würgkrämpfe, Magenschmerzen, blutiges Erbrechen, häufig auch Atemnot, Beklemmungsgefühl in der Brust. Oft kommt es rasch zur Erstickung [C - 19 / Wirth / 1994, S. 191; C - 15 / Moeschlin / 1986, S. 332].

In einem Fallbericht führte die orale Aufnahme von ca. 45 ml einer 37%igen wässrigen Formaldehydlösung zu schweren Ulzerationen im Gastrointestinaltrakt [C - 145 / AGS / 2015 / S. 5].

Resorptiv können durch metabolische Azidose (Laktatazidose) Störungen im Zentralnervensystem ausgelöst werden (Schwindel, Benommenheit, Bewusstlosigkeit, Koma). Weitere Symptome sind extreme Tachykardie und Tachypnoe. Organschädigungen betreffen vor allem die Niere (mit Albuminurie, Hämaturie, Anurie), evtl. auch die Leber. Bei der Sektion akut Vergifteter wurden auch Lungen- und Hirnödeme gefunden. Spätkomplikationen sind Magenperforationen oder Narbenstrikturen in Magen, Darm, evtl. Ösophagus.
[C - 70 / ACGIH / 2001, S. 7; D - 296 / Pandey / 2000; C - 19 / Wirth / 1994, S. 191; C - 15 / Moeschlin / 1986, S. 332]

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Wirkungen bei wiederholter / chronischer Exposition


Eine umweltmedizinische Bedeutung wird dem weitverbreiteten und häufig verwendeten Formaldehyd aufgrund
- der lokal reizenden Wirkung auf die Schleimhäute der Augen und oberen Atemwege,
- der sensibilisierenden Wirkung bei Hautkontakt und
- der möglicherweise kanzerogenen Wirkung zugemessen
[D - 279 / UBA / 1999]

Organschäden und -funktionsstörungen
(Zum haut- und atemwegssensibilisierenden Potential siehe "Immunotoxische Wirkungen")

Die Folgen wiederholter inhalativer Exposition sind hauptsächlich an beruflich belasteten Personengruppen untersucht worden.

- Angaben zur Dosis-Wirkungs-Beziehung bezüglich der sensorischen Reizung im unteren Konzentrationsbereich:
In einer Arbeitsplatzstudie empfanden Beschäftigte bei Exposition gegenüber 0,4 - 1 ppm Formaldehyd (0,5 - 1,25 mg/m³) bzw. 1 - 3 ppm Formaldehyd (1,25 - 3,7 mg/m³) im Vergleich zu einer Kontrollgruppe mit einer Hintergrundbelastung von 0,05 ppm Formaldehyd (0,06 mg/m³) vermehrt Augen- und Nasenreizungen, Husten und "trockenen Rachen" [C - 4 / DFG / 2000, S. 19].
Entsprechend Beobachtungen in verschiedenen Arbeitsplatzstudien lag die niedrigste Konzentration, bei der einzelne Beschäftigte noch leichte Reizempfindungen in Nase und Rachen angaben, bei 0,1 ppm (0,12 mg/m³). Bei Mischexpositionen mit weiteren Luftkontaminanten kann ein Augenreiz von einzelnen Personen noch bei 0,01 ppm Formaldehyd (0,012 mg/m³) empfunden werden [C - 70 / ACGIH / 2001, S. 8-9].

Unter Berücksichtigung der o.g. Probandenstudien wurde zusammenfassend eingeschätzt, dass bei täglich 8-stündiger Exposition fast alle Beschäftigten vor der Augenreizwirkung geschützt sind, wenn die Konzentrationen 0,3 ppm (0,37 mg/m³) nicht übersteigen. Es wird aber darauf hingewiesen, dass gleichzeitige Anwesenheit von Staub und anderen Chemikalien die Empfindlichkeit gegenüber den Reizeffekten erhöhen kann C - 4 / DFG / 2000, S. 33].

Andere Expertengruppen leiten (unter zusätzlicher Berücksichtigung der Ergebnisse einer mangelhaft dokumentierten Arbeitsplatzstudie) einen LOAEL für die sensorische Reizung (beginnend mit Augenreizungen) von 0,25 ppm (0,3 mg/m³) ab [C - 140 / NEGCD / 2003, S. 46, 49].
In einer umweltmedizinischen Studie zur Prävalenz der Nasen- und Rachen-Reizung unter ca. 2000 Bewohnern von Wohnungen mit unterschiedlicher Formaldehyd-Belastung wurden bei Expositionen unterhalb 0,1 ppm (0,12 mg/m³) von einem geringen Anteil Reizungen an Augen und oberen Atemwegen sowie Kopfschmerz angegeben, während bei Exposition oberhalb 0,3 ppm (0,36 mg/m³) ein hoher Anteil diese Beschwerden empfand [C - 149 / CICADS / 2002, S. 36].
In diesen Studien wurden offensichtlich nur die Formaldehyd-Konzentrationen bestimmt. Messwerte für weitere relevante Innenraumkontaminanten liegen nicht vor.

- Beeinflussung von Lungenfunktionsparametern
In einigen Arbeitsplatzstudien wurden Beeinflussungen von Atemwegsparametern registriert, z.B. Verringerung der exspiratorischen Sekundenkapazität (FEV1) und/oder der Vitalkapazität (FVC). Die Formaldehyd-Konzentrationen lagen in diesen Studien durchschnittlich bei 1 - 2 ppm (1,25 - 2,49 mg/m³) [C - 4 / DFG / 2000, S. 19].

Andere Untersucher schätzten ein, dass bei Exposition bis zu 3 ppm (3,6 mg/m³) beim Menschen keine Lungenfunktionsstörungen nachweisbar waren [C - 140 / NEGCD / 2003, S. 38].
Pauschal wurde konstatiert, dass Formaldehyd-Konzentrationen, die oberhalb des Levels liegen, bei dem es allgemein zu sensorischen Reizungen kommt, zur Auslösung von meist geringen, reversiblen Effekten auf die Lungenfunktion beitragen können [C - 149 / CICADS / 2002, S. 4].

- Nasenschleimhautläsionen
Studien mit klinischer und histologischer Untersuchung der Nasenschleimhaut wiesen bei langjährig beruflich Exponierten verschiedene Veränderungen nach: geschwollene trockene Schleimhäute, Verlust der Zilien, Umwandlung des Flimmerepithels in Plattenepithel, hyperplastische und dysplastische Veränderungen. Die Nachuntersuchungen einer kleinen Personengruppe nach 1 Jahr Expositionskarenz ergaben Besserung bzw. Reversibilität der Befunde. Eine klare Aussage, ab welcher Konzentration die Nasenschleimhautläsionen auftreten, ist aus den bisher vorliegenden Studien nicht ableitbar [C - 4 / DFG / 2000, S. 19-22; C - 154 / WHO Air quality guidelines / 2000, S. 89; C - 242 / WHO Guidelines for indoor air quality / 2010, S. 116].

- Atemwegserkrankungen
Nach älteren arbeitsmedizinischen Erfahrungen wurde (ohne genaue Expositionsbeschreibung) über chronische Konjunktivitis, Rhinopharyngitis, chronisch obstruktive Bronchitis mit Lungenemphysem und Asthma bronchiale bei langjähriger Formaldehyd-Belastung berichtet [C - 15 / Moeschlin / 1986, S. 332].

Bezüglich der Asthma-Reaktionen wurde in späteren Bewertungen konstatiert, dass in den meisten Fällen wahrscheinlich der Reizeffekt des Formaldehyds bei Personen mit anderweitig erworbener Asthmaerkrankung auslösend gewirkt hat [C - 70 / ACGIH / 2001, S. 14].

Krebserzeugende Wirkungen
Frühere Auswertungen epidemiologischer Studien an Formaldehyd-exponierten Populationen und eine Metaanalyse auf der Basis von 47 epidemiologischen Studien ergaben keinen eindeutigen Hinweis auf eine kanzerogene Wirkung beim Menschen [C - 4 / DFG / 2000, S. 22-23; C - 140 / NEGCD / 2003, S. 38-39].

Expertengremien vertreten überwiegend die Auffassung, dass Formaldehyd in nicht zytotoxischer Konzentration mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht als komplettes Kanzerogen wirkt. Bei Expositionen, die am Einwirkungsort zu Gewebsschäden führen, wird ein kanzerogenes Potential beim Menschen aber angenommen bzw. nicht ausgeschlossen [C - 140 / NEGCD 2003, S. 49; C - 4 / DFG / 2000, S. 32-33; C - 145 / AGS / 2015 / S. 1; C - 177 / SCOEL / 2016 / S. 8f.; C - 300 / ECHA / 2012 / S. 45].

Die IARC stufte Formaldehyd vor allem aufgrund der epidemiologischen Daten als Gruppe-1-Kanzerogen ein (kanzerogen beim Menschen; "sufficient evidence in humans for the carcinogenicity of formaldehyde. Formaldehyde causes cancer of the nasopharynx and leukaemia. Also, a positive association has been observed between exposure to formaldehyde and sinonasal cancer.”) [C - 6 / IARC / 2012, S. 430; C - 6 / IARC 2012 / S. 430]. Wegen eines fehlenden plausiblen Wirkungsmechanismus wird von anderen Stellen ein Kausalzusammenhang mit der Auslösung myeloischer Leukämien bezweifelt [C - 318 / NRC / 2011; C - 299 / ECHA / 2011, S. 176; C - 300 / ECHA / 2012 / S. 41, 45; C - 177 / SCOEL / 2016 S. 45].

Auf Vorschlag des Komitees für Risikobewertung (RAC) der ECHA wurde Formaldehyd als eine Substanz eingestuft, die vermutlich ein karzinogenes Potential für den Menschen hat (Carc. 1B). [C - 300 / ECHA / 2012]. RAC begründet diese Entscheidung wie folgt:
Zwischen der inhalativen Exposition gegenüber Formaldehyd und der Häufigkeit von Krebserkrankungen des Nasen-Rachen-Raums wurde in einer Industriekohorte ein Zusammenhang festgestellt, für den eine kausale Deutung plausibel erscheint. Es verbleiben aber einige Unsicherheiten und Zufall, Verzerrungen (bias) oder Fehlzuordnungen (confounding) konnten nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden. Unterstützende Beweise für die Annahme eines kausalen Zusammenhangs ergeben sich aus Fall-Kontroll-Studien [C - 300 / ECHA / 2012 / S. 44].
Für den dermalen Weg kann nach Einschätzung des RAC aufgrund fehlender Daten keine Schlussfolgerung zur Karzinogenität gezogen werden. Hinsichtlich der oralen Exposition wird die Datenlage (aus Tierversuchen) als widersprüchlich angesehen. Das RAC sah jedoch eine Beschränkung der Einstufung auf den Inhalationspfad nicht als gerechtfertigt an, da Formaldehyd über den oralen und dermalen Expositionspfad aufgenommen wird und die verfügbaren Daten nicht ausreichen, um das Fehlen eines karzinogenen Potenzials für andere Wege als die Inhalation zu zeigen [C - 300 / ECHA / 2012 / S. 45].

Zur Einschätzung des Beitrags der Genotoxizität zur Kanzerogenität siehe "Genotoxische Wirkungen".

Nach einer Risikoabschätzung des CIIT (Chemical Industry Institute of Toxicology, Research Triangle Park) ist bei Formaldehyd-Expositionen am Arbeitsplatz in Konzentrationen von 0,3 ppm (0,37 mg/m³) über 40 Jahre mit einem geringen zusätzlichen Krebsrisiko für Nichtraucher von 1,3 x 10-8 und für Raucher von 3,8 x 10-7 zu rechnen [C - 4 / DFG / 2000, S. 32].

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht hinsichtlich der Entstehung von Nasenkrebs nach chronischer Exposition von Ratten gegenüber Formaldehyd von einer nichtlinearen Expositions-Risikobeziehung aus und gibt auf Basis dieser Befunde als zusätzliches theoretisches Krebsrisiko im oberen Atemtrakt für Nichtraucher nach lebenslanger ununterbrochener Exposition (80 Jahre) gegenüber 0,3 mg Formaldehyd/m³ ein Risiko von 10-6 an. Der AIR (Ausschuss für Innenraumrichtwerte hat sich dieser Sichtweise angeschlossen [D - 1200 / AIR / 2016].

Der Wissenschaftliche Ausschuss für Grenzwerte berufsbedingter Exposition (SCOEL) der EU beschreibt für die Bewertung des Krebsrisikos bei niedrigen Dosen oder Konzentrationen eines Stoffs wie Formaldehyd, der dieselben spezifischen DNA-Addukte aus endogenen und exogenen Quellen bildet, einen „Bottom-up-Ansatz“. Dazu wurden die endogenen und exogenen Desoxyguanosin-Addukte von Formaldehyd, die bei Javaner Affen nach zwei 6-stündigen Expositionen mit bei 2 ppm (2,5 mg/m³) gemessen wurden, als Surrogat für den Menschen für eine kontinuierliche lebenslange Exposition herangezogen. Unter Berücksichtigung der mit Hilfe kinetischer Modellierungen abgeschätzten Eliminationshalbwertszeit von 63 Stunden für diese Addukte wurde als obere Grenze des Lebenszeitrisikos ein Wert von 3,8 x 10-4 für eine kontinuierliche Exposition bei 1 ppm (1,25 mg/m³) errechnet (entsprechend 1,6 x 10-5 bei 0,3 ppm am Arbeitsplatz) [C - 177 / SCOEL / 2016 / S. 48].

Genotoxische Wirkungen
Zur Gentoxizität beim Menschen gibt es nur wenige und wenig aussagefähige Untersuchungen.
In einigen Humanstudien zur lokalen Mutagenität infolge Inhalation von Formaldehyd, in denen als Endpunkt für die Gentoxizität die Induktion von Mikrokernen in Wangen- und Nasenschleimhautzellen untersucht wurde, konnte eine vermehrte Bildung von Mikrokernen festgestellt werden [C - 6 / IARC / 2012 / S. 419); vom RAC werden diese Befunde als in ihrer Gesamtbewertung als widersprüchlich angesehen [C - 300 / ECHA / 2012 / S. 8].

Bezüglich der Bildung von DNA-Protein-Crosslinks in der Nasenschleimhaut wurde anhand eines pharmakokinetischen Modells berechnet, dass diese beim Menschen im Vergleich zum Nager und Affen geringer ist.
Unter Berücksichtigung von In-vitro- und Tierversuchsdaten wurde zum Zusammenhang von Genotoxizität und Tumorbildung im respiratorischen Epithel abgeschätzt, dass bei Formaldehyd-Konzentrationen, die nicht zur Zellproliferation führen, die Bildungsrate an DNA-Protein-Crosslinks und deren Umsetzung in Mutationen gering ist, so dass der Beitrag der Genotoxizität zum Krebsrisiko beim Menschen bei entsprechenden Expositionen von untergeordneter Bedeutung ist [C - 4 / DFG / 2000, S. 27-30, 32-33].

Bezüglich der Keimzellmutagenität ist die systemische Verfügbarkeit von exogen zugeführtem Formaldehyd zu berücksichtigen. Bei geringer exogener Formaldehyd-Belastung, die die endogene Bioverfügbarkeit von Formaldehyd nicht signifikant erhöht, ist eine mutagene Wirkung auf die Keimzellen nicht wahrscheinlich, und es wird bei solchen Expositionen kein erhöhtes genetisches Risiko für den Menschen gesehen [C - 4 / DFG / 2000, S. 27-30, 32-33; C - 300 / ECHA / 2012 / S. 9].

Das RAC hat Formaldehyd in der Bewertung der Gesamtdatenlage (gentoxische Effekte in vitro und in Versuchstieren am Einwirkort der Formaldehydexposition) in die Gruppe 2 (suspected of causing genetic effects /Muta. 2) eingestuft [C - 300 / ECHA / 2012 / S. 9f.; C - 300 / ECHA / 2020 / S. 16f.].

Nach Auffassung des IARC deuten die vorliegenden Daten stark darauf hin, dass die Gentoxizität eine wichtige Rolle bei der Kanzerogenität von Formaldehyd im Nasengewebe des Menschen spielt und dass die Zellreplikation als Reaktion auf die durch Formaldehyd verursachte Zytotoxizität die kanzerogene Wirkung fördert. Hinsichtlich der Induktion maligner hämatologischer Erkrankungen (Leukämien) sieht die IARC eine mögliche Rolle unterschiedlicher gentoxischer Mechanismen, die weiterer Untersuchungen bedürfen [C - 6 / IARC / 2012 / S. 430].

Reproduktionstoxische Wirkungen
Untersuchungen zu reproduktionstoxischen Effekten beim Menschen werden in den verwendeten Quellen nicht beschrieben.
Aufgrund negativer Befunde in Tierversuchen und unter Berücksichtigung der schnellen Verstoffwechselung von Formaldehyd, wonach Akkumulationen und Schädigungen in vom Einwirkungsort entfernten Geweben nicht zu erwarten sind, wird bei Konzentrationen im Bereich bis 0,3 ppm (0,37 mg/m³) kein Risiko einer Fruchtschädigung erwartet [C - 4 / DFG / 1991, S. 5].

Auch nach einer neueren Einschätzung des RAC (Committee for risk assessment) der EU gibt es keine überzeugenden Hinweise darauf, dass Formaldehyd bei Konzentrationen in der Luft, die nicht zu einer Reizung der Atemwege führen, reproduktions- oder entwicklungstoxische Wirkungen beim Menschen oder bei Versuchstieren hervorruft [C - 300 / ECHA / 2020 / S. 16].

Immunotoxische Wirkungen
Der seit vielen Jahrzehnten umfänglich genutzte Formaldehyd gehört zu den bezüglich der hautsensibilisierenden Wirkung am besten untersuchten Stoffen. Nach Auswertung des umfänglichen Datenmaterials wurde von einem Expertengremium eingeschätzt, dass die unmittelbare Einwirkung von Formaldehyd-Lösungen mit Gehalten von mehr als 2% eine Kontaktallergie (Typ IV) induzieren kann. Als Schwellenkonzentration bei der epikutanen Reaktionsauslösung wird 0,05% angegeben. Nach Angaben anderer Autoren ist eine Reaktionsauslösung in seltenen Fällen mit noch geringeren Konzentrationen möglich. Eine Kontaktdermatitis kann bei hypersensitiven Personen bis zu Konzentrationen von 0,003% ausgelöst werden [C - 138 / Kayser / 2001; C - 149 / CICADS / 2002, S. 33; C - 4 / DFG / 2010].

Aufgrund der vielfältigen Kontaktmöglichkeiten finden sich in der Allgemeinbevölkerung hohe Sensibilisierungsraten.
In Tests an großen Gruppen von Hautpatienten zeigten 2 - 8,7% der Personen gegenüber Formaldehyd positive Testreaktionen [C - 138 / Kayser / 2001].

Neben der Typ IV-Reaktion wurden auch allergische Reaktionen vom Typ I (unspezifische IgE-Antikörper) und vom Typ II (Formaldehyd-spezifische Antikörper) beobachtet. Formaldehyd-Antikörper fand man bei Patienten, die bei medizinischer i.v.-Behandlung wiederholt Spuren von Formaldehyd aufnahmen. Ein Fallbericht beschreibt eine anaphylaktische Reaktion bei einer Person mit Kontaktdermatitis nach parenteralem Formaldehyd-Kontakt.
Aus beruflicher Erfahrung wurde berichtet, dass akute allergische Reaktionen meist durch Exposition über den Luftweg induziert und hauptsächlich an der Gesichtshaut sichtbar werden (periorbitales Ödem), während die chronische Form sich bevorzugt als Ekzem an Händen und Armen manifestiert [C - 70 / ACGIH / 2001, S. 14].

Einige Fallberichte über Formaldehyd-induziertes Asthma deuten darauf hin, dass diese Reaktionen über einen immunologischen Mechanismus ausgelöst werden können. Im Hinblick auf eine mögliche allergische Genese solcher Reaktionen werden die spezifischen Expositionsbedingungen und die individuelle Empfindlichkeit (Idiosynkrasie) als wesentliche Faktoren eingeschätzt [C - 149 / CICADS / 2002, S. 33] Für eine Sensibilisierung am Atemtrakt werden vom AGS keine gesicherten Hinweise beim Menschen gesehen. Möglicherweise kann eine Verstärkung von Asthma bei Co-Exposition mit anderen Chemikalien auftreten [C - 145 / AGS / 2015 / S. 6].

Weitere Angaben
Endokrine Effekte:
Es liegen keine Humanstudien über die inhalative Exposition gegenüber Formaldehyd und schädliche endokrine Wirkungen vor. Darüber hinaus gibt es keine Hinweise aus Tierversuchen auf histologische oder Gewichtsveränderungen endokriner Organe wie Bauchspeicheldrüse, Hypophyse, Nebennieren oder Schilddrüse [C - 136 / ATSDR / 2010 / S. 18].

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